Schattenseiten

Haltung zeigen statt Hassen – Teil 2


Teil 2: Hass als Lösungsversuch

Ausgelöst durch die derzeitigen Demonstrationen beschäftigt sich Martin Carstens in diesem zweiten von 3 Teilen mit dem Hass, unser Erleben damit, den Hintergründen und den Auswirkungen auf die Welt und auf jeden Einzelnen. In diesem Teil geht es um die Frage, wie es kommen kann, dass Hass sogar als eine Möglichkeit des Lösungsversuchs sein kann.

Auswirkungen von Hass

Verachtung, Grausamkeit, kaltes Herz, destruktive Aggression, die blind ausgelebt wird, eine Leidenschaft, die Leiden schafft, Vernichtung des Gegners – all dies sind Facetten von Hass.

In den sozialen Netzwerken macht sich eine hasserfüllte Sprache breit, die für die Betroffenen traumatisierend ist, die Menschen verstummen lässt. Das „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ hat in einer Mitte Februar 2024 veröffentlichten Studie, „Lauter Hass – leiser Rückzug“ herausgefunden, dass sich 57% aus Angst im Netz seltener zur eigenen politischen Meinung bekennen, 55% sich seltener an politischen Diskussionen beteiligen und 53% ihre Beiträge bewusst vorsichtiger formulieren.

Durch Hass, Gewalt und Lügen verstummen Menschen, der sogenannte „Silencing“-Effekt entsteht. Im Netz werden Anschläge propagiert und andere ermutigt, diese auch durchzuführen. Das geht bis zum Vater des Hasses, dem Krieg, den wir aktuell wieder erleben müssen und unsere Vorfahren erleben mussten. Hass meint, immer Recht zu haben und setzt sich durch. Die Folgen sind selbst- und fremdzerstörerisch.

Der innerpsychische Lösungsversuch oder: Aufwertung durch Abwertung

Es werden innerpsychische Abwehrmechanismen aktiviert, um sich vor den äußeren Einflüssen zu schützen und den hinter den Verletzungserfahrungen liegenden Schmerz nicht mehr zu spüren. Diese Form der Angstabwehr hilft in der komplexen und widersprüchlichen Welt, sich psychische Entlastung zu schaffen. Eigene Scham- und Schuldgefühle und mangelndes Selbstwertgefühl, quälende Verbitterung werden auf andere projiziert, andere Gruppen von Menschen werden abgewertet bis zur Entmenschlichung, um sich selbst aufzuwerten.

Somit projiziert man seine inneren Konflikte nach außen, man muss sich nicht mit seiner eigenen Geschichte auseinandersetzen, nicht reflektieren, nicht differenzieren und ist den inneren Konflikt scheinbar los. So kommen der Konflikt und der Hass in die Welt. Jedem äußeren Konflikt liegt also ein innerer Konflikt zugrunde. Der so entstandene Hass übertönt alle feineren Gefühle und differenzierteren Gedanken und ist ein primitives, kaltes Gefühl, das auf Zerstörung ausgerichtet ist.

Häufige Beweggründe der hasserfüllten Haltung in politisch rechtsextremen Kreisen

Die Botschaften beginnen oft mit der Klage über verlorenen Ruhm und Ehre, über die beklagenswerte Lage im Vergleich zum Glanz vergangener Zeiten, die Bedrohung der glorifizierten Ahnen-Kultur, verloren geglaubte Bilder von traditioneller Autorität, Verbreitung von „Alternativen Fakten“ bei gleichzeitiger Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Angst vor der Zukunft etc.

Darauf folgt die Diagnose, wir hätten alles verloren, die politische Autorität, Respekt, materiellen Reichtum, eine moralische Verkommenheit und Verlust der Werte wird beklagt, ein sich selbst verstärkendes, konformes Weltbild entsteht. Die Lösung liegt in der Vergangenheit, im entweder – oder, im richtig oder falsch, schwarz oder weiß, Freund oder Feind. Alles, was die vertraute Welt gefährdet, missachtet, in Frage stellt, muss bekämpft und vernichtet werden.

Solche Äußerungen deuten auf die implizite Annahme hin, dass es, solange die Lage nicht wieder ist, wie sie einmal war, keine Lösung für die heutigen Probleme geben könne. Jedoch ist der Blick in den Rückspiegel ist keine günstige Perspektive für die Fahrt nach vorne.

Hass und die einseitige Fixierung auf Bedürfnisse

Jedes Bedürfnis wächst so lange, bis es eine Befriedigung gefunden hat. Dann zerfällt es in den psychophysischen Hintergrund und macht anderen Motivgestalten im Vordergrund unseres Bewusstseins Platz. Ist ein Bedürfnis befriedigt, stellt sich Freude, Zufriedenheit, Gelassenheit, Freiheit, Liebe, sich anerkannt und wertgeschätzt fühlen und ähnliche Gefühlsqualitäten ein.

Entsteht aufgrund der oben genannten Erfahrungen eine einseitige Fixierung auf die Pole Wut, Rache, Rechthaberei, Moralismus, Selbstgerechtigkeit, Sündenbocksuche, Bedrohung, werden die Freiheitsgrade in doppelter Hinsicht massiv eingeschränkt. Die eigenen Freiheitsgrade, da die Sensibilität, Empathie, Gelassenheit, Freude, Leichtigkeit und Humor verloren gehen, sowie die Freiheitsgrade andersdenkender und anders fühlender Menschen. Dadurch entsteht Tyrannei und Diktatur. Freiheit findet dann nur noch im Untergrund statt. Wenn man sich der Tyrannei unterwirft, begeht man Verrat an sich selbst. Bleibt man sich treu, lebt man sehr gefährlich. Der Ausstieg aus der Tyrannei geht nur über den Verrat gegenüber den Tyrannen. Daher: Wehret den Anfängen.

„Die 4 apokalyptischen Reiter in Beziehungen“

In Anlehnung an die vier apokalyptischen Reiter im 6. Kapitel der Offenbarung des Johannes als Boten der Apokalypse beschreibt John Gottmann vier apokalyptische Reiter in Beziehungen, die so negativ sind, dass sie Beziehungen dauerhaft zerstören.

Diese Reiter können wir auch in der Hassdynamik beobachten:

  • Kritik: Schuldzuweisung und Anklagen, die ihren Höhepunkt in einer generellen Verurteilung des Gegners finden. Kritik, Rechtfertigung und Gegenkritik schaukeln sich gegenseitig hoch.
  • Abwehr: Verteidigung mit Rechtfertigung und Verleugnung der eigenen Anteile, die den Konflikt aufrechterhalten. Der andere ist schuld, dass ich mich so verhalten habe, ich konnte ja nicht anders.
  • Verachtung und Geringschätzung des Gegners. Hier wird der wunde Punkt des Gegners gesucht, der wiederum sofort zum Gegenschlag einlädt.
  • Mauern: Schließen der Schotten und Rückzug. Flucht und Beenden des Dialogs. Die hochgezogenen Mauern machen die Aufarbeitung und die Lösung des Konflikts unmöglich.

Wir sollten alles tun, um die eigenen inneren Reiter an uns vorbei galoppieren zu lassen und standfest zu widerstehen, wenn sie auf uns zukommen.

Quellenangaben siehe Teil 1

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