Unsicherheit und Angst

Kompetenz für Unsicherheit entwickeln


Ein Fall über Unsicherheit und Ängste aus der Praxis:
Frau S. kommt in Panik in die Praxis. Sie hat Angst, ihren Kindern könnte etwas Schlimmes passieren und sie könne nichts tun, um das abzuwenden. Durch Nachfragen stellt sich heraus, dass sie die gegenwärtigen in so hohem Maße unsicher findet, dass sie nirgends Halt finden kann. Sie hat auch Sorge um ihre eigene Existenz, stellt diese aber zurück wegen ihrer Kinder und fühlt sich von ihren Befürchtungen erdrückt. Es ist auch nicht möglich, diese Ängste zu relativieren. Diese steigern sich in ihr bis in eine Panik hinein, der sei sich dann ausgeliefert fühlt und der gegenüber sie über keinerlei Mittel verfügt, sie auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Sie gibt an, sie können nur warten, bis es vorbeigegangen sei. Dann sei sie so stark erschöpft, dass sie ihren alltäglichen Aufgaben kaum noch nachgehen könne.

Ängste durch die aktuelle soziale und politische Lage

Es kommt in letzter Zeit häufiger vor, dass Menschen aufgrund der sozialen und politischen Situation in stärkere Ängste geraten. Nicht immer sind so wenig steuerbar wie bei Frau S. Angstauslösend können Migranten auf der Straße sein, die durch ihr andersartiges Verhalten verunsichern und gerade bei Frauen Ängste hervorrufen. Es können Ängste vor einem totalitären Staat sein, die entstehen, weil viele politischen Ereignisse in diese Richtung gedeutet werden oder durch Ängste vor der Übernahme politischer Verantwortung durch die politische Rechte. Oder es sind Ängste vor dem Klimawandel,, dass der das Leben nicht mehr lebenswert macht. Oder Ängste, die Folgen der Klimaveränderung nicht finanzieren zu können und zu verarmen. Die Themen ließen sich noch erweitern.

Gerade nach der Messerattacke in Mannheim, bei der ein Polizist zu Tode kam, hat die Angst vor Migranten als unberechenbaren und gefährlichen Wesen geschürt. Hintergrund dafür ist, dass jeder/jede wie aus heiterem Himmel von solchen Attacken getroffen werden könnte. Das erzeugt ein grundsätzliches Gefühl von Unsicherheit im öffentlichen Raum.

Unsicherheit und Ängste ernst nehmen

Wir müssen diese Ängste ernst nehmen und sie als Ratgeber sehen (siehe auch hier). Als Psychotherapeuten und Coaches müssen wir sie immer ernst nehmen, auch wenn wir das Befürchtete selber nicht für gefährlich halten. Wir müssen davon ausgehen, dass unsere Klienten diese Unsicherheit in sich tragen, diese vielleicht schon aus ihrer Kindheit mitgebracht haben und die neuen Ängste darauf aufsetzen. Wir dürfen niemals gegen diese Ängste arbeiten, sie als irrational abtun – Ängste sind immer irrational, weil sie nicht aus der Ratio entstehen, manchmal können sie vielleicht durch unsere Ratio etwas besänftigt werden, indem wir uns fragen: Wie realistisch ist es, dass das Befürchtete eintritt.

Unsere Aufgabe ist: Unseren Klienten ein Stück Erleichterung anzubieten, so dass sie, wenn sie etwas erleichtert sind, die rationalen Prozesse in unserem Gehirn wieder wirksam werden können.

Wie gehen wir damit um?

Das war auch der Weg bei Frau S.: Ich habe versucht, mit Hilfe von Entkoppelungstechniken die Ängste von Frau S. zu minimieren, so dass sie sich denen nicht mehr so stark ausgeliefert fühlte. Außerdem habe ich ihr geraten, sich ein Benzodiazepin verschreiben zu lassen, das sie immer bei sich trägt und im Notfall einnehmen kann. Als Notfallmedikament führt dies meist zu einer raschen Beruhigung. Und wir haben in der Folgezeit an den Vorerfahrungen von Frau S. gearbeitet, die die akuten Ängste extrem verstärkt haben. Seither hat sie eine Linderung erfahren, so dass wenigstens die Panikattacken nicht mehr aufgetreten sind. Die Ängste sind nach wie vor da, aber in einem für sie handhabbaren Maß.

Wir leben in unsicheren Zeiten (s. hierzu den Sammelband Veränderung in unsicheren Zeiten) und die Unsicherheit frisst sich mehr und mehr in unseren Alltag. Insofern brauchen wir vermehrt eine Unsicherheits-Kompetenz. Die kann uns helfen, gegenüber Unsicherheit toleranter zu werden, d.h. mit ihr besser umgehen zu können. Denn die Zeiten werden so schnell nicht sicherer werden.

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