Persönliche Gedanken zum Verlust der geliebten Ehefrau
„Wir leben in Zeiten multipler Krisen“, hatte ich im letzten Newsletter geschrieben. Nun ist eine Krise anderer Art hinzugekommen: Eva ist ganz plötzlich am 27.11.2022 gestorben. Das hat alles – Berufliches und Privates – erschüttert. Das ganze Leben. Unser ganzes Leben. Hier haben sich Tod und Leben auf eine unmittelbare Art miteinander verwoben. Für mich und meine Kinder und Enkel war es ein Schock. Wir hatten keinerlei Vorbereitung darauf, konnten es nicht ahnen, weil es keine entsprechenden Vorzeichen gegeben hatte. Für alle, inclusive Eva, stimmt der Satz: Nichts verändert das Leben so sehr wie der Tod.
„Wenn ihr wirklich das Wesen des Todes schauen wollt, so öffnet euer Herz weit und lasst das Leben einziehen.“
Khalil Gibran, Der Prophet, „Über den Tod“
Diese Aussage von Gibran ist für mich Anreiz und Motor weiterzuleben. Im letzten Newsletter hatten wir das Gedicht „Der kleine Tod“ von Eva. In unserem Leben hat nun der große Tod Eva überrannt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Trauer nicht verbergen
Zum Umgang mit Verlust habe ich ein „Come together“ geleitet. Das ist mir einerseits schwergefallen, andererseits war es auch gut, meine Trauer nicht zu verbergen. Gleichzeitig konnte ich etwas Wesentliches über den Umgang mit Verlust vermitteln in Verbindung mit dem eigenen Abgleich von Theorien zur Trauerarbeit und dem eigenen Erleben. Es gab dann auch genügend Raum für die Betroffenheit der Teilnehmer. Mit Hilfe von Fragen und der Arbeit in Kleingruppen war ausreichend Raum, um an diesem sensiblen Thema zu arbeiten.
Trauer ist für mich eine Zeit intensiver Empfindungen. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit mit Eva, vermisse sie zugleich und bin froh, dass wir uns begegnet sind und eine so erfüllte Beziehung hatten. Es ist eine Zeit intensiver Gefühle, die immer wieder auftauchen und Raum brauchen. Manchmal brauche ich aber auch Ruhe vor der Trauer. Manchmal droht es zu viel zu werden. Dann brauche ich andere Menschen um mich, brauche Ablenkung, brauche inzwischen auch wieder meine Arbeit. Ihr seht also, ich bin damit ein Stück weit mehr im Alltag, der aber natürlich anders ist als zuvor.
Im Hier und Jetzt der Gefühle
Warum spreche ich hier so viel über mich? Weil mir bewusst geworden ist, dass alles Gerede in der Fachliteratur über die diversen Phasenmodelle der Trauer nicht zutrifft. Die Phasen sollen den Begleitern Halt geben. Die Betroffenen sind im Hier und Jetzt ihrer Gefühle und das ist gut so. Und diese Gefühle wechseln öfter, kein Tag ist wie der andere. Und alle Gefühle, die im Zusammenhang mit der Trauer auftauchen, sind Ausdruck für die verlorene Beziehung und der Liebe zu der Person, derer wir verlustig gegangen sind. Insofern ist es bei jeder Art von Verlust hilfreich, der liebenden Verbindung Raum zu geben. Auch wenn da viel Wut ist, ist dies ein wichtiger Teil des Ausdrucks der innigen Verbundenheit. Für diese Liebe braucht die Wut ihren Platz, damit die Liebe wieder sichtbar werden kann.
Diese Haltung wird auch unterstützt von den Schriften von Roland Kachler und ganz berührend das Buch von Irvin und Myriam Yalom. Wenn ihr Menschen begleiten wollt, die einen schweren Verlust erlebt haben, dann unterstützt sie darin, ihre Gefühle zu haben und zuzulassen, dass die wechseln. Und wir brauchen Erinnerungen an die verlorene Person, über die wir uns mit ihr verbinden können; denn darin und in unseren Herzen leben diese Menschen weiter.
Ein Vermächtnis von Eva sind ihre Gedichte, die sie zusammen mit der Malerei von Daniela Kammerer im Buch „Blütenknall“ herausgegeben hat. Eine Quelle wunderbarer Wort- und Bildschöpfungen.
Am Rande des Wahnsinns – Ein Gedicht von Eva Sattler aus Blütenknall
Mitten im Zentrum
der Einsamkeit
ist der Ort,
an dem ich dir begegnet.
Deine Augen haben sich geöffnet
und der Blitz aus ihrer Mitte
hat mein Herz getroffen.
Bin ich jetzt tot?
Am Ende des Wahnsinns
gibt es einen Ort
der Freiheit.
Dort stehe ich und warte auf dich.