Konflikte Teil 4: Konflikte auf Dauer – wer ist hier der Gewinner?


Wir haben auf jeden Fall auf der geopolitischen Ebene viele Dauerkonflikte, d.h. solche Konflikte, an deren Lösung entscheidende Kräfte nicht interessiert zu sein scheinen. So ein typischer Konflikt ist der Palästina-Konflikt. Der Frieden schien ja schon einmal so nah, als Arafat und Peres über Friedensschritte miteinander sprachen, eine Kommunikation, die zuvor undenkbar war. Nach der Ermordung von Peres kam der Friedenprozess zwangsläufig ins Stocken. Dieser Mord war nicht das Einzige was die Gegner eines Friedens mit den Palästinensern an Gewalt verübt haben. Alle diejenigen, die die israelische Siedlungspolitik aufrechterhalten wollen, müssen Gegner eines Friedens mit den Palästinensern sein. D.h. diese Seite hat ein vitales Interesse, keinen Frieden herbeizuführen.[*]

Das Interesse, den Konflikt zu erhalten

Das leitet uns dazu über, dass in Konfliktfällen unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen. Das können eben auch Kräfte sein, die ein Interesse daran haben, den Konflikt zu erhalten. Denn jeder Konflikt hat für bestimmte Personenkreise auch Vorteile, für die sie sich teilweise mit Gewalt einsetzen und so eine Einigung der Konfliktparteien aufgrund eines eigenen Interesses verhindern.

Systemisch gesehen müssen wir fragen:

  • Wer hat welchen Gewinn aus einem Konflikt?
  • Was kostet wen die Lösung des Konflikts?
  • Wer hat welche Kosten oder Gewinne aus der Aufrechterhaltung des Konflikts?

Hieraus wird klar, dass in jedem Fall für die Konfliktbeteiligten Kosten entstehen, wenn sie den Konflikt lösen oder ihn aufrechterhalten. Im Konflikt Israel-Palästina sind es nicht nur die israelischen Siedler, die vom Bestehen des Konflikts profitieren, auch die radikaleren Kräfte der Palästinenser müssten um ihre Existenz bangen, wenn der Konflikt gelöst wäre.

Dauerkonflikte – wenn Beziehungen nur über den Konflikt bestehen bleiben

Was auf der großen politischen Ebene gilt, das gilt auch im Kleinen: In Betrieben und Teams darin[**], aber auch in Paar- und anderen Beziehungen, z.B. Geschwisterbeziehungen zu Lebzeiten der Eltern und vor allem nach deren Tod.

Ein Paar ist seit über 10 Jahren geschieden. Der Konflikt besteht fort, indem der Ehemann immer wieder die Nähe zu seiner Frau und den Kindern sucht: Er lauert ihnen auf der Straße auf, filmt sie, spricht sie an, obwohl alle deutlich gemacht haben, dass sie mit ihm keinen Kontakt wollen. Auch die Kinder wollen den Kontakt nicht, weil der von ihnen als verstörend erlebt wird.

In diesem Fall würde das Akzeptieren der Trennung und Scheidung dazu führen, dass es keinen Kontakt mehr gibt außer vielleicht einer Zufallsbegegnung. In der Zeit zuvor hat es immer wieder Begegnungen vor Gericht gegeben. Diese rechtlichen Auseinandersetzungen haben ebenfalls den Kontakt aufrechterhalten. Die ehemaligen Ehepartner in erster Linie, aber auch die Kinder behalten den Vater so in permanenter Erinnerung, denken teilweise täglich an ihn. Den Ehemann kenne ich nicht persönlich, aber ich unterstelle, dass er sich sehr oft Gedanken macht, wie er seiner Ex und den Kindern nah kommen kann. Ihm scheint es nicht wichtig zu sein, einen positiven Eindruck zu hinterlassen, Hauptsache es gibt überhaupt einen Eindruck.

Auseinandersetzungen als Kontaktmöglichkeit

Ein Geschwisterpaar lebt schon seit der Kindheit in heftigen Auseinandersetzungen. Das scheint die Hauptkontaktmöglichkeit zu sein. Wir können also von einer Streitbeziehung ausgehen. D.h. diese Beziehung wäre tot, wenn es keinen Konflikt gäbe. So ist es auch nur folgerichtig, dass der Konflikt von beiden nach dem Tod der Eltern fortgesetzt wird. Beide vermeiden eine Regelung der Erbangelegenheiten, blockieren gegenseitig Zugriff auf Konten der Eltern und gerade bei Nebensächlichkeiten wird viel Energie aufgewandt, den Konflikt zu befeuern. Ein Grundstück, das beiden hälftig gehört, kann wirtschaftlich nicht verwertet werden, weil immer eine Person von beiden andersartige Vorstellungen und Pläne hat. Über diese Art von Konflikten, z.B. auch wer die Rechnung vom Steuerberater bezahlt, wird der Kontakt aufrechterhalten und dies zum Teil in einer emotional hohen Intensität.

An diesen beiden Beispielen wird deutlich, dass Konflikte gelegentlich Beziehungen intensivieren können, indem sie Kontakt auf einem hohen energetischen Niveau erzeugen.. Von daher ist es manchmal eine Bedingung für die Aufrechterhaltung von Beziehung, dass der Konflikt besteht. Systemisch betrachtet ist es auch unerheblich, ob die Beziehung über positiv oder negativ gefärbte Emotionen gestiftet wird; denn Konflikte können nicht aufrechterhalten werden ohne Kontakt.

Ungelöste alte Konflikte können wieder aufflammen

Manchmal sind die ungelösten Konflikte allerdings erkaltet. Die Konfliktpartner sind sich aus dem Weg gegangen, sind aufgrund äußerer Veränderungen z.B. Jobwechsel in eine räumlich größere Distanz geraten, so dass der Konflikt ruhen konnte, ohne gelöst worden zu sein. Bei einer nächsten Begegnung kann dieser ungelöste Konflikt wieder aufflammen, als hätte es die Pause gar nicht gegeben.

Ein seit 15 Jahren geschiedenes Ehepaar trifft sich wieder auf der Hochzeit der ältesten Tochter. Diese hatte bis dahin beim Vater gelebt und nur sporadisch Kontakt zur Mutter gehabt. Die Mutter fühlte sich durch die Trennung vom Vater hintergangen in finanzieller Hinsicht und war ihm immer noch gram. Die Begegnung der beiden auf der Hochzeit, die von der Tochter als Versöhnungsangebot gedacht war, hat den alten Konflikt wieder aufflammen lassen. Die Tochter hatte geglaubt, dass die vielen Jahre gereicht hätten, den alten Konflikt zu befrieden, getreu dem Motto: Gras darüber wachsen lassen. Manchmal passiert genau das nicht, manchmal wird jeder zarte Grashalm sofort wieder ausgerissen und der Konflikt im eigenen Innern am Leben gehalten. Das Aufeinandertreffen der Eltern auf der Hochzeit der Tochter hätte fast die Feier gesprengt, wenn die Tochter nicht darauf gedrungen hätte, dass die Mutter die Feier verlässt.

Erklärungsansatz: Die systemische Sichtweise

Auch in diesem Fall war offenbar der Gewinn aus der Aufrechterhaltung des Konflikts größer als der aus der Lösung hätte sein können. Die Frau hatte einen Gewinn aus der Beibehaltung ihres Opferstatus dem ehemaligen Partner gegenüber. Sie war zwar neu verpartnert, aber ihr Partner hatte sich mit ihrem Groll dem Ex gegenüber identifiziert und so von sich aus dazu beigetragen, dass der Konflikt fortexistierte. Sein Gewinn davon war, dass er sich so als der bessere Mann positionieren konnte.

Ich habe mich lange Zeit gefragt, wie es sein kann, dass die Existenz eines Konflikts von so großer Wichtigkeit sein kann, dass jede Lösung dahinter zurückstehen muss. Erst als ich die systemischen Zusammenhänge begriffen habe, wurde mir klar, dass Konfliktbeziehungen eben auch Beziehungen sind, die nach eigenen Gesetzen funktionieren. In diesen Fällen sind therapeutische Bemühungen in Richtung Konfliktlösung von vornherein zum Scheitern verurteilt. Genau dann sind die sogenannten Symptomverschreibungen die zielführendere Variante, denn wenn ein Außenstehender an einer Lösung interessiert ist, dann wird er meist eines Besseren belehrt: Die Konfliktparteien erweisen sich als die Stärkeren.

Manche kennen vielleicht die folgende Geschichte: Zwei Brüder streiten sich heftig, der ältere schlägt den jüngeren. Ein Außenstehender greift ein und sagt dem älteren: „Sie können doch nicht den Kleinen hier schlagen! Sonst kriegen sie es mit mir zu tun!“ Darauf sagt der Jüngere: „Lassen sie meinen Bruder in Ruhe! Wenn der mich schlägt, ist das unsere Angelegenheit.“


[*] Wir könnten hier natürlich auch auf den Krieg in der Ukraine verweisen, den Russland zum gegenwärtigen Zeitpunkt eigentlich nicht beenden kann, weil die psychologischen Verluste zu groß wären. Um das ganze Ausmaß dieses Konflikts zu begreifen, brauchen wir wahrscheinlich mehr Abstand, als wir im Moment haben können

[**] Die betrieblichen Aspekte werden in einem gesonderten Artikel aufgegriffen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*