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Themenreihe Positive Psychologie – Teil 4
Wir werden oft gefragt, was uns Sinn gibt und wie wir Sinn für uns herstellen können. Kann man das einfach „machen“?
Sinn im Leben zu finden, ist eine wesentliche Voraussetzung für unser Wohlbefinden. In dem Maße, wie uns das, was wir tun, sinnlos erscheint, nehmen depressive und psychosomatische Erkrankungen zu. Meistens reicht es aus, dass wir einen Sinn konstruieren. D.h. wenn wir gegen unsere Werte handeln, dann können wir dem einen Sinn geben, damit wir unsere Integrität erhalten können.
Wahrheit oder Lüge
Wenn einer meiner Werte darin besteht, immer die Wahrheit zu sagen oder bei der Wahrheit zu bleiben, dann kann es Situationen geben, in denen ich bewusst davon abweiche, beispielsweise wenn ich meine Frau betrogen habe, die Ehe aber nicht gefährden möchte. Dann verschweige ich vielleicht die Wahrheit oder greife sogar zu einer Lüge. Ich rechtfertige das dann mit dem Motiv: Keine Gefährdung der Ehe.
Natürlich wird das nicht besser, wenn dann doch der außereheliche Kontakt ans Licht kommt. Manchmal braucht es dafür sogar 10 Jahre oder mehr. Immerhin habe ich dann für diese 10 Jahre die Ehe erhalten, hinterher wird es dafür um so schlimmer. Diejenigen, die die Wahrheit gebeugt haben, halten dennoch an ihrer Rechtfertigung fest. Denn das ist der Sinn, der das Aufweichen der oder Zuwiderhandeln gegen die eigenen Werte gerechtfertigt hat.
„Geteilter Sinn“
Allerdings ist es das Schönste für uns, wenn der Sinn, den wir für uns entwickelt haben, von anderen und mit anderen geteilt werden kann.
In dem obigen Beispiel wird deutlich, dass wir Sinn verleihen in Bezug auf soziale Situationen, auf kommunikative Ereignisse. Häufig verständigen wir uns in der Kommunikation auf einen bestimmten Sinn von Ereignissen, wenn wir z.B. sagen: „Ach, so meinst du das“, dann stimmen wir der Weltsicht und dem Sinn eines Weltereignisses, das mein Gegenüber entwickelt hat, zumindest partiell zu.
Das Ringen um Sinn
Manchmal ringen wir um den Sinn: „Das sehe ich ganz anders, nämlich …“
Der Sinn, wenn wir ihn denn erkannt oder verliehen haben, entfaltet also eine gewisse Nähe zu den Wirklichkeitskonstrukten – denn auf der Basis bestimmter Konstrukte stellen wir den Sinn erst her.
Bei Luhmann [x] zielt der Sinnbegriff auf bestimmte Ordnungsstrukturen in sozialen Systemen. Der verliehene Sinn hat eine Komplexitätsreduktion zur Folge, aufgrund derer wir uns leichter orientieren können. So können sich auch unterschiedliche soziale Gruppierungen über eine spezielle Sinnstiftung voneinander abgrenzen und damit zur Identität beitragen.
Ohne Sinn?
Umgekehrt heißt das auch: Ohne Sinn sind wir wie verloren in der Welt. Wenn unsere sinnstiftenden Annahmen auf einmal nicht mehr gelten, dann kann unsere innere Organisation zerfallen, unsere Aktivitäten auf einmal überflüssig und sinnlos werden.
Stabilität trotz Belastungen
Die Kategorie Sinn ist ein zentraler Bestandteil der Salutogenese von Antonovsky [xx]. Salutogenese könnte man übersetzen mit: Entwicklung von Gesundheit und Wohlergehen. Antonovsky hatte sich zum Ziel gemacht, die Faktoren zu untersuchen, die dazu führen, dass Menschen auch unter größten Belastungen stabil und gesund bleiben, während andere psychisch und physisch an denselben Ereignissen zerbrechen.
Er hatte gesehen, dass einige seiner jüdischen Mitmenschen den Holocaust scheinbar ohne gravierende Gesundheitsfolgen überlebt hatten und andere daran zerbrochen waren. Was waren also die Faktoren, die die Ersteren hat überleben lassen? Er hat herausgearbeitet, dass es dazu eines Kohärenzgefühls bedarf, was man am besten mit einem Gefühl von Stimmigkeit übersetzen kann. Und damit diese Stimmigkeit entstehen kann, ist Sinn ein wesentlicher Faktor.
Stereotype Arbeitsabläufe
Deshalb werden z.B. stereotype Arbeitsabläufe als sinnlos oder sinnbefreit erlebt, vor allem wenn ich nicht mehr erkennen kann, was mein Tun zum Ganzen beiträgt und dass das Ganze etwas Sinnvolles für mich ist. Nicht jeder Mensch muss diesen Sinn in der Arbeitstätigkeit finden, der lässt sich für einzelne u.U. leichter in den privaten Tätigkeiten erreichen. Aber an irgendeiner Stelle brauchen wir, dass wir einen Sinn realisieren können.
„Starkes Sinnerleben korreliert signifikant mit Lebenszufriedenheit.
Mangelndes Sinnerleben hingegen zeigt einen starken Zusammenhang mit depressiven Symptomen und Rückzug.
Sinn ermöglicht posttraumatisches Wachstum und führt zu Resilienz.“
(Loeffner, A., Psychologie des Glücks, S. 44)
Den Sinn des Lebens realisieren
Wie Menschen für sich Sinn in ihrem Leben realisieren, ist höchst unterschiedlich.
Das Sinnstiftende kann mit der Verwirklichung eigener Ziele und Bedürfnisse zu tun haben, aber auch mit Zielen, die über das eigene Selbst hinausgehen. Hierher gehört beispielsweise der Einsatz für gesellschaftliche Randgruppen oder die Natur oder spirituelle Ziele, um nur ein paar zu nennen.
Sinn können wir auch in Gemeinschaften finden, von denen wir uns getragen fühlen und die wir mittragen. Und auch wenn wir uns der Verwirklichung bestimmter Werte verschreiben.
Jeder Mensch sollte mehr als eine Sinnquelle zur Verfügung haben, so dass er eine Vielfalt von Sinnquellen anzapfen kann, um so das psychische und physische Gleichgewicht zu erhöhen.
Quellen:
[x] Luhmann: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1984, Kap. 2
[xx] Aaron Antonovsky: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. 1997