Die Bilder, die gerade aus der Ukraine bei uns ankommen und die Nachrichten über Erniedrigungen von Menschen und insbesondere Frauen, sind fürchterlich und hätten nie so passieren dürfen. Natürlich soll und muss das verfolgt werden. Zugleich aber erheben wir uns über die russischen Soldaten, die das getan haben müssen. Genaueres und Bewiesenes haben wir noch nicht.
Haben wir vergessen, was in anderen Kriegen passiert ist?
Andere Kriege
Was war mit Abu Ghraib im Irak-Krieg, den die USA angezettelt haben und dazu ähnliche Fake-News benutzt haben wie die Russen jetzt über die Ukraine, nur um sich vor sich selbst und vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen? Das war nur möglich, weil die USA begrenzte Foltermethoden zugelassen und gerechtfertigt haben. Damit wurde auch die Botschaft an die Soldaten gegeben, Gefangene nicht menschlich behandeln zu müssen.
Was war mit Guantanamo, wo Menschen unter unwürdigen Bedingungen festgehalten und zermürbt wurden? Die dort geübte Praxis würde vor dem Gerichtshof in Den Haag nicht standhalten. Auch hier muss gesagt werden, dass das Waterboarding eine zugelassene Foltermethode war.
Was war mit dem Balkankrieg? Was war mit Srebrenica? Dort ist der Krieg in einem Massaker entgleist. Nicht dem einzigen während des Krieges.
Was war mit Vietnam?
Moral und Ethik im Kriegsgeschehen
Aber vielleicht sollten wir nicht so weit zurückgreifen. Dennoch hat es auch dort viele Gräueltaten gegeben.
Krieg geht immer einher mit der Außerkraftsetzung von Moral und Ethik. Jemanden zu töten, ist auf einmal erlaubt, wird nicht mehr sanktioniert. Den anderen, den Feind zu entwerten und herabzuwürdigen ist die Voraussetzung dafür, den anderen töten zu können. Das ist auch bei den Verteidigern so. Deshalb brennen sich im Krieg die Feindbilder so stark ein. Die Feinde werden zu Untermenschen, die Böses tun, etwas wegnehmen und zerstören wollen. Das geht nicht nur mit Töten einher, sondern auch mit Vergewaltigen und Quälen von Frauen (teilweise vor den Augen der Kinder) [ x ].
Das ist in diesem und anderen Kriegen gleich auf beiden Seiten, bei beiden Kriegsparteien. Diejenigen, die sich mit dem Töten schwertun, werden zu Schwächlingen erklärt und müssen sich zusammenreißen (auch so ein martialischer Begriff), um in der rohen Kriegskultur nicht unterzugehen oder selber zu sterben. Und wenn ich selbst überleben will, dann muss ich selbst austeilen.
Traumatisierung und Konfliktlösung
Was passiert mit Menschen, die in so einem Krieg waren? Wie können die sich wieder in den Frieden einer sozialen Gemeinschaft integrieren? Wenn sie nicht traumatisiert und damit lebensuntüchtig sind, bedarf es eines großen Aufwands, wieder eine Art der Konfliktlösung zu erlernen und einzugehen. In gewissem Umfang haben Gesellschaften immer wieder ihre Kinder an den Krieg verloren und nicht nur durch den Tod. Viele können sich einfach nicht mehr in eine soziale Gemeinschaft mit anderen Werten einordnen. Nach all dem Leid, das den Menschen dort widerfahren ist, die das Töten mit ansehen mussten, die selbst viel Angst um das eigene Leben und das ihrer Nachkommen hatten und haben und sich vielleicht von dieser Angst nicht mehr lösen können, müssen wir uns auch um die Kämpfer kümmern, damit die in die Gesellschaft wieder zurückfinden und sich auch mit ihren Taten aussöhnen müssen.
Und wann endet der Krieg?
Wir können heute nicht mehr sagen: Das habe ich ja nur meinem Feind angetan.
Diese Rechtfertigung wird in die entstandene Friedenskultur nicht mehr passen. Am Ende singt der Chor bei „Mutter Courage“:
Jedoch vielleicht geschehn noch Wunder:
Der Feldzug ist noch nicht zu End!
Das Frühjahr kommt! Wach auf du Christ!
Der Schnee schmilzt weg! Die Toten ruhn!
Und was noch nicht gestorben ist
Das macht sich auf die Socken nun.
Sie ziehen weiter in die nächste Schlacht. Da kennen sie sich aus.
[ x ] Das sagte schon Bertolt Brecht: „In einer Weis ist ein Krieg, indem dass gebrandschatzt, gestochen und geplündert wird, bissel schänden nicht zu vergessen, aber unterschieden von alle anderen Kriege dadurch, dass es ein Glaubenskrieg ist, das ist klar.“ Mutter Courage und ihre Kinder, S. 34, Frankfurt/M. 1969