Gemeinhin nennen wir diese Angst Lampenfieber. Aber sie tritt nicht nur auf, wenn wir im Scheinwerferlicht stehen. Für Schauspieler auf der Bühne scheint das dazu zu gehören und stellt ihnen die nötige Energie für den Auftritt zur Verfügung.
Es ist gar nicht ungewöhnlich, dass sogar Menschen, die oft im Rampenlicht stehen, zunächst ängstlich auf einen öffentlichen Auftritt reagieren. Das auffallendste solcher Beispiele war für mich ein international bekannter Professor, der in vielen internationalen Gremien als Berater gefragt war, vor jedem öffentlichen Auftritt Angst entwickelt hat. Es machte keinen Unterschied zwischen einer Vorlesung vor seinen Studenten und einem mit hochkarätigen Kollegen oder Politikern besetzten Auditorium. Mir selber ist das Phänomen der Auftrittsangst auch bekannt und ich bin darauf eingestellt und glaube, damit umgehen zu können inzwischen.
Die Auftrittsangst hat ihre historischen Wurzeln
Ich weiß noch genau, wie sich das bei meinen ersten öffentlichen Auftritten angefühlt hat. Da gibt es diesen Tunnelblick, die hohe körperliche Erregung mit erhöhtem Blutdruck, erhöhter Herzschlagrate und verschiedene muskuläre Verspannungen, die alle zusammen die Wirksamkeit des Auftretens und die eigene Souveränität dabei beeinträchtigen. Interessanterweise tauchte in den Rückmeldungen einiger Zuhörer von diesem meinem inneren Befinden wenig auf. Mir selber ging es trotzdem hinterher nicht gut. Ich habe dann die Gelegenheit ergriffen und mir den Vorgang mit meinem damaligen Psychotherapeuten zusammen angeschaut. Dabei stellte sich heraus, dass das verständliche Lampenfieber in der Situation durch ein Ereignis aus dem Alter von 12 Jahren verstärkt hatte: Damals hatte ich meinen ersten Auftritt als Messdiener und sollte einen Psalm vortragen. Damals versagte ich ganz offensichtlich für alle gleich zu Beginn, weil ich das Wort Psalm nicht über die Lippen bringen konnte und wiederholt „Spalm“ gesagt habe. Dadurch war ich einen hohen Erregungszustand geraten, der der Kirchengemeinde nicht verborgen blieb. Es war die Sonntagsmesse und damals war die Kirche voll – mehr als 100 Menschen. Die Welt drohte vor meinen Augen zu verschwimmen und damit auch der Text. Mit höchster Anstrengung habe ich damals den eigentlich kurzen Text hinter mich gebracht und war vollkommen erschöpft.
Auftrittsangst ein subjektiv erlebtes Desaster
Inzwischen weiß ich, dass ich mit solchen Phänomenen nicht alleine bin. Ich habe selber viele Menschen bei vergleichbaren Problemen begleitet. Ich möchte hierzu einen Fall aus dem Coaching schildern:
Ein Beispiel aus dem Coaching
Eine Führungskraft soll eine Präsentation halten vor einem Steuerungskreis. Mitglieder sind auch Teile der Geschäftsführung. Aufgrund der hohen Bedeutung des Projekts ist die Führungskraft angespannt. Sie betritt den Raum und wechselt sofort in einen veränderten Zustand: die Atmung wird kurz und flach, die Willkürmuskulatur angespannt, der Blutdruck steigt, die Herzschlagrate ebenso, die Pupillen sind eng gestellt, vermehrtes Schwitzen, Druck in Hals und Brust, die Beine drohen zu versagen. Er stellt sich hinter seinen Laptop, möchte zu reden beginnen und die Stimme ist sehr dünn, die Gespräche im Raum gehen weiter, weil ihn keiner gehört hat. Die Beine geben noch mehr nach, das Gesicht wird fahl. Jemand ruft im Raum zur Ruhe, weil er die Führungskraft in ihrem Bemühen gesehen hat. Im Raum wird es still, die Führungskraft eröffnet mit einer dünnen Stimme, merkt, dass der Mund trocken ist und greift nach dem Getränk auf dem Tisch. Während sie das Glas in der Hand hat, fängt diese an zu zittern und der größte Teil der Flüssigkeit wird verschüttet. Dadurch steigt die innere Anspannung noch mehr. Einige springen dem Mann zur Hilfe, wischen die Pfützen auf. Er hebt wieder an zu reden, der Mund ist immer noch trocken und die Stimme dünn. Er beginnt mit dem einstudierten Auftakt und versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Dadurch verkrampft sich die Muskulatur weiter. Die gezeigten Folien sind schließlich der einzige Halt. Diese können mehr oder weniger vorgelesen werden. Bei Rückfragen kann die Führungskraft nicht antworten. Sie scheint keinen Zugriff mehr auf ihr Wissen zu haben. Andere aus dem Projekt geben stattdessen die Antwort. Die Führungskraft verlässt dieses Meeting mit dem Gefühl einer großen Niederlage und der Überzeugung, total versagt zu haben.
All diese Mechanismen sind aufgetreten, wie sich in der nachträglichen Rekonstruktion herausarbeiten ließ. Der Selbstwert war im Keller. Der Mann musste erst einmal wieder aufgebaut werden. In diesem Fall hatten alle gemerkt, was mit ihm los war. Er hatte auch Angst, dass schlecht über ihn geredet werden würde. Insofern war erst einmal die akute Situation behandlungsbedürftig, um ihn wieder ruhiger werden zu lassen. Er konnte die Feedbacks einiger Kollegen, die ihm mitfühlend erzählt hatten, dass ihnen auch schon mal so etwas passiert sei, nicht annehmen. Er war so mit seiner Selbstkritik befasst, dass solche Botschaften gar nicht zu ihm durchdrangen.
Hilfe bei Auftrittsangst
Nachdem die akute Lage etwas beruhigt war, konnten wir uns um die Hintergründe bemühen. Er erinnerte sich an eine Situation in der Schule, als er ein Gedicht aufsagen sollte vor der Klasse und ihm regelrecht die Stimme versagte: er hatte kein Wort rausbekommen, obwohl er zu Hause vorher und hinterher das Gedicht fehlerfrei aufsagen konnte. Zu der Situation gehörte dazu, dass er in der Zeit zuvor von einigen Mitschülern verbal und körperlich angegriffen worden war auf dem Weg nach Hause. Er hatte zu Hause gelernt, dass man Konflikten ausweicht und vor allen Dingen sich nicht körperlich zur Wehr setzt. Das war die Maxime des Vaters gewesen. Dieser war er gefolgt. Im Unterricht saßen diese Mitschüler direkt vor ihm. Weil die auch im Unterricht auffällig gewesen waren, hatte der Lehrer sie in seine unmittelbare Umgebung gesetzt. Die machten nun auch noch, während er an der Tafel stand, unauffällige Drohgebärden. Damals war er verstummt, wie er gelernt hatte, nämlich in Konfliktsituationen auszuweichen und hier zu verstummen. Das wr keine bewusste Entscheidung gewesen, sondern einfach so passiert.
Neurobiologische Hintergründe
Und so ist es auch: Wir können uns in solchen Situationen häufig nicht mehr selber steuern, sondern folgenden Automatismen. Diese werden vom limbischen System – einer entwicklungsgeschichtlich alten Gehirn-Formation, die u.a. der Gefahrenabwehr dient – aus automatisch in Gang gesetzt, wenn dort etwas als Gefahr erkannt wird. Das Großhirn kann dem dann nichts mehr entgegensetzen. Diese Automatismen entziehen sich normalerweise dem Zugriff des Verstandes. Wir können sie mit spezifischen Entkoppelungstechniken erreichen, wie sie z.B. im ROMPC (Realtionship-oriented Meridian-based Psyhotherapy and Coaching) oder im Brainspotting angewandt werden. Damit können diese inneren Minenfelder beruhigt werden und treten dann tatsächlich so weit in den Hintergrund, dass sie nicht mehr in jeder vorher als brenzlig beurteilten Situation auftauchen.
Den Bann brechen bei Auftrittsangst
Solche Behandlungen habe ich im Coaching angewandt. Ich habe dem Coaching-Klienten auch Entkoppelungstechniken an die Hand gegeben, die er selber in einer Akutsituation anwenden konnte. Es gab natürlich auch noch weitere der oben beschriebenen Situationen im Leben des Mannes, die ebenfalls entkoppelt werden mussten. Der Härtetest kam natürlich irgendwann. Er musste wieder vor diesem selben Gremium präsentieren. Das haben wir selbstverständlich entsprechend vorbereitet. Er ging aufgeregt in die Präsentation hinein, die Aufregung war aber nach 5 Minuten so weit reduziert, dass er erst nach dem Ende wieder daran dachte und erstaunt war, die Situation so gut bewältigt zu haben. Der Bann war gebrochen.