Beziehungsorientierung und Normalisierung in der Psychotherapie


Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Praxis Teil 2

Normalisierung heißt in erster Linie:

Wir glauben unserer Klientin,

  • dass sie fühlt, was sie fühlt:
    Frau P. war besorgt, erschüttert und irritiert wegen ihrer Vergesslichkeit.

  • dass sie denkt, was sie denkt:
    Frau P. hat gedacht, sie hat mit 45 Jahren Demenz. Sie konnte es mit ihrem Wissen nicht anders einordnen.
  • dass sie das erlebt hat, was sie erlebt hat:
    Frau P. hat seit dem Arbeitsbeginn des neuen Chefs viel Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit erlebt.

Darüber hinaus vermitteln wir ihr, dass es Sinn macht, dass sie zu der geworden ist, die sie ist, und die Stärken und Schwächen entwickelt hat, die sie entwickelt hat:

Frau P. hat eine Geschichte mit Abwertungen erlebt durch insbesondere den Vater. Diese Quelle wurde mit angezapft durch das Verhalten des neuen Chefs. Damals als Kind konnte sie dem nichts entgegensetzen, hatte keine entsprechende Stärke entwickeln können, mit deren Hilfe sie vom Urteil anderer sich unabhängiger machen konnte. Die Geschichte von Frau P. hat also die Angst und den Stress verstärkt.

Gedanken und Verhalten basieren auf Erfahrungen

Wir können also sehen, dass unser Gehirn auf verschiedenen Ebenen tätig ist:

  1. Die aktuelle Situation trifft auf ein

  2. bestimmtes Verhaltensrepertoire, das sie schon „kennt“.
    Im Falle von Frau P. gab es für die häufige Unzufriedenheit des Chefs kein passendes Verhalten, d.h. sie konnte auf kein schon erprobtes Verhalten zurückgreifen.

  3. Und es gab die vergangene Erfahrung aus der Kindheit, mit deren Hilfe sie die Unzufriedenheit des Chefs als Abwertung ihres Verhaltens interpretierte. Ihr kam gar nicht in den Sinn, dass der es vielleicht nur anders haben wollte, ohne an ihrer Person Kritik zu üben, sondern sich nur ein anderes Verhalten wünscht.
    Möglicherweise haben sein Tonfall, seine Gestik und Mimik eine Abwertung nahegelegt. Das wissen wir nicht, weil die Deutung von Frau P. hier vorgeformt ist durch die vergangene Erfahrung mit dem Vater; denn in solchen Fällen nehmen wir oft das wahr, was wir für wahr halten.
    Und dieses „wahr“ wird stark beeinflusst von vergangenen Erfahrungen, die quasi als Deutungsschablone bereitliegt. Ein Nachfragen hätte uns nur die subjektive Gewissheit von Frau P. bestätigt. Wir brauchen aber auch nicht die objektive Wahrheit, sondern setzen an der subjektiven Wahrheit von Frau P. an und arbeiten damit weiter.

Wir befriedigen damit auch zugleich ein Beziehungsbedürfnis – eines, das wir uns nicht selbst befriedigen können (s. hierzu Richard G. Erskine und Rebecca Trautman, in: Zeitschrift für Transaktionsanalyse ZTA 4/2008)  – nämlich das nach der Bestätigung der eigenen Erfahrung: „Ich verstehe: das hast du erlebt.“

Häufig wird uns diese Erfahrung abgesprochen, indem jemand behauptet, es sei ganz anders gewesen und ich hätte nicht recht mit meiner Darstellung. Aber so war nun einmal meine Erfahrung in dieser Situation. Deine kann ganz anders gewesen sein. Würden wir – wie gesagt – den Chef befragen, würden wir eine andere Wahrheit präsentiert bekommen.

Normalisierung als Instrument in der Praxis

So ist die Normalisierung ein zentrales Instrument therapeutischer und beraterischer Praxis. Diese können wir aber auch selbst auf uns anwenden, indem wir uns selber fragen, ob es nicht eine natürliche Erklärung für Vorgänge gibt, die wir im Moment noch nicht kennen. In vielen Fällen ist es jedoch hilfreich, einen Profi zu Rate zu ziehen. ROMPC-Therapeuten und -Berater sind in der Anwendung dieses Konzepts – ebenso wie in den Beziehungsbedürfnissen – geschult und wenden es an.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*