von Thomas Weil
Diese Inhalte des Buches „Veränderung in unsicheren Zeiten“ sind heute mehr denn je relevant uns passen zur aktuellen Situation. Darum werden wir in den nächsten Artikeln immer wieder Auszüge aus unserem gleichnamigen Buch veröffentlichen.
Teil 2: „Zwischen Allmacht und Ohnmacht“
Veränderungen im ROMPC beginnen innen, nicht im Außen
Veränderungen fangen nicht im Tun an, sondern in der inneren Haltung zu uns selbst. Das Lösungsorientierte am ROMPC beginnt damit, eine andere Haltung zu uns selbst zu entwickeln und damit die Voraussetzung zu schaffen, auch im Außen etwas anders zu machen.
Wir fangen bei einer ROMPC- Behandlung immer erst mit der Selbstakzeptanz an:
„Ich akzeptiere mich voll und ganz mit all meinen Stärken und Schwächen.“
Dass wir so sind, wie wir sind – mit unserer erhörten und unerhörten Geschichte, den Sonnen- und den Schattenseiten. Wenn wir lernen, uns dafür zu respektieren, zu würdigen, schaffen wir in unserem Gehirn einen Hormonspiegel aus Oxytocin, Dopamin und Endorphinen, der uns überhaupt in die Lage versetzt, mit gesteigerter Motivation Veränderungen anzupacken.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in dieser Artikelserie „Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Praxis:
Teil 1: Verschlimmerung durch unser Denken oder: Wie löse ich eine Blockade?
Teil 2: Beziehungsorientierung und Normalisierung in der Psychotherapie
Teil 3: Werde am Du zum ich
Teil 4: Wie treten wir als Professionals in Beziehung?
Teil 5: Ich mische mich ein, ergreife Partei
Veränderungen haben mit Ambivalenz und Ambivalenztoleranz zu tun
Den Aspekt der Ambivalenztoleranz hat meine Frau Martina Erfurt-Weil maßgeblich in unser Verfahren hineingebracht.
Am Beispiel eines Klienten möchte ich das verdeutlichen:
Der Klient war in seinem Beruf gefordert, Reden und Präsentationen zu halten, was ihm Angst bereitete. Sein Ziel war es, ohne Angst reden zu können. In seiner Biografie sind wir tatsächlich fündig geworden und haben zunächst beschämende Situationen in der Schule mit den Entkopplungstechniken emotional neutralisiert.
Mit neuer Zuversicht ging er aus der Sitzung, um einige Wochen später von sich enttäuscht mit dem Satz wiederzukommen:
„Ich glaube, ich kann erst präsentieren, wenn meine Ängste ganz weg sind.“
Was hier deutlich wurde, ist die „Entweder-oder-Falle“. Bevor nicht das schlechte Alte ganz weg ist, so glaubt er, kann er nichts Neues probieren. Das Veränderungsbemühen wird unter einen unrealistischen „superlativistischen Selbstanspruch“ gesetzt, wie wir im ROMPC (s. Weil, 2010, S. 41) dazu sagen. Klient und Therapeut können diesen Kampf nur verlieren.
Weitere biografische Traumawurzeln emotional zu neutralisieren, ist nicht der therapeutische Weg, wenn „magisches Denken“ [x]
im Spiel ist. Das magische Denken entspringt einer frühen Entwicklungsphase unseres inneren Kindes. Dieses magische Denken muss in differenziertes Denken der sogenannten „Ambivalenzphase“ übergeleitet werden. In der Ambivalenzphase gilt nicht mehr Schwarz und Weiß. In der Ambivalenzphase gibt es mehrere Wahrheiten, mehrere emotionale Wahrheiten. Hier darf man ausprobieren, nerven, „herumeiern“ – ja schlicht: hin- und hergerissen sein bzw. sich hin- und herwerfen.
Der Wunsch NACH und die Angst VOR Veränderung
Dass es einerseits eine Lust auf Veränderung gibt und andererseits auch die berechtigte Angst davor, dass man Lust hat, sich zu zeigen und gleichzeitig Angst hat vor Blamage, das ist völlig normal.
Im ROMPC haben wir Affirmationssätze verbunden, die wir sprechen bzw. sprechen lassen, während wir gleichzeitig die Herzregion im Uhrzeigersinn reiben – zum Beispiel:
„Ich akzeptiere mich voll und ganz mit meinem Wunsch, etwas Neues auszuprobieren, obwohl ich gleichzeitig davor Angst habe.“
Oder:
„Ich akzeptiere mich voll und ganz mit meiner Angst vor Veränderung, obwohl ich mir gleichzeitig diese Veränderung sehr wünsche.“
Fazit:
Veränderungen beginnen mit der inneren Haltung. Sie haben etwas mit Selbstakzeptanz zu tun, und sie gehen mit Ambivalenztoleranz einher.
Veränderungen irritieren das limbische System – selbst dann, wenn wir uns diese Veränderungen wünschen; denn das limbischen System ist das Frühwarnsystem der Säugetiere und reagiert auf mögliche, eingebildete und tatsächliche Gefahren ähnlich schreckhaft. Dem limbischen System ist vorher nicht klar, wie das Veränderungsexperiment ausgeht, ob das Neuland, das wir betreten, genügend Sicherheit bietet.
Ist die berechtigte Angst und Aufregung durch Neugier und Lust im Schach zu halten? Versuch und Irrtum. Erst die Erfahrung wird uns lehren. Erst Erfahrung macht uns klüger. Und diese Hürde gilt es zu nehmen. Lust und Angst gleichzeitig!
[x] Magisches Denken ist ein Begriff aus der Entwicklungspsychologie: im Alter ab etwa 2 Jahren bis Schulbeginn nehmen Kinder teilweise phantastische Verknüpfungen von Elementen der Realität vor. So glauben sie z.B., dass sie mit ihrem Denken die Realität beeinflussen können. Wenn sie gedacht haben, die Mama soll weg, weil sie dies oder jenes verboten hat, und die hat dann einen Unfall, so führen sie das teilweise auf ihre Gedanken zurück und geben sich die Schuld. Magisches Denken beinhaltet auch, dass alle Gegenstände beseelt sind quasi ein eigenes Leben haben. Magisches Handeln beinhaltet: Wenn ich beispielsweise auf dem Straßenpflaster nicht auf die Ritzen zwischen den Gehwegplatten trete, passiert mir kein Unglück. Einige dieser Arten des Denkens und Handelns retten sich oft ins Erwachsenenleben. S. hierzu Piaget, 1975 sowie Oerter/Montada, 2002. (Anm. des Herausgebers)