Ich mische mich ein, ergreife Partei


Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Praxis – Fortsetzung Teil 5

„Ich mische mich ein, ergreife Partei für dich!“ – das ist das, was unsere Klienten von uns brauchen, dass wir eindeutig auf ihrer Seite stehen, dass wir uns für sie und ihre unterdrückten oder zurückgehaltenen Bedürfnisse einsetzen, sie thematisieren und ihnen als etwas Normales nahebringen. (s. hier) Erskine und Trautmann haben das anhand von 4 Qualitäten illustriert: „Therapeutic involvement that includes acknowledgment, validation, normalization, and presence diminishes internal defensive processes.” (ebd.)

Wir anerkennen und bestätigen, was unsere Klienten erleben, was sie fühlen, was sie denken bzw. was sie erlebt, gefühlt, gedacht haben in der Vergangenheit. Es geht dabei nicht um historische Wahrheiten, wie sie ein unabhängiger Beobachter erheben könnte, sondern es geht um die subjektiven Wahrheiten. Diese sind Ausdruck der Verarbeitung der Erfahrungen durch unsere Klienten. Genau damit wollen und müssen wir uns beschäftigen. Die Erfahrungen und Bedürfnisse unserer Klienten wurden ja gerade in der Vergangenheit häufig nicht anerkannt und bestätigt, sondern im Gegenteil sogar häufig negiert. Umso wichtiger ist es, dass wir es anders machen, dass wir eine Antithese zu den Beziehungen der Vergangenheit etablieren. (s. hierzu Weil, S. 83 und Weil/Erfurt Weil, S. 134 ) Wir nennen das: Die Beziehung antithetisch gestalten, indem wir das unbefriedigte Beziehungsbedürfnis erkennen und angemessen beantworten.

Partei ergreifen in Psychotherapie und Coaching

Damit sind wir weit entfernt von den Neutralitätsgeboten von Psychotherapie. Partei zu ergreifen war in den frühen Jahren der Psychoanalyse ein „Fehler“. Freud hatte Angst, von seinen Fachkollegen noch mehr abgelehnt zu werden, als dies ohnehin schon der Fall war, nämlich als unwissenschaftlich entlarvt zu werden. Freud hatte ja mit Hypnose experimentiert, in der der Hypnotiseur stark lenkenden Einfluss nimmt. So entwickelte sich in Abgrenzung zur Hypnose die Neutralität des Forschers, denn mit Hypnose war Freud in Misskredit bei den Wiener wissenschaftlichen Autoritäten geraten. Außerdem gab es auch die Befürchtung, dass zu viel Einmischung verhindert, dass der Analytiker eine Projektionsfläche für die inneren Objekte der Klienten sein kann. Und, wenn er sich zu viel involviert, eine zu enge Beziehung zwischen Therapeut und Klient entsteht, der Therapeut auch erotisch verführbar wird. Diese Verführbarkeit hat Freud bei dem Fall der Anna O. mitverfolgen können, die bei seinem Freund Breuer in Behandlung war und über die die beiden sich intensiv ausgetauscht und gemeinsam darüber geschrieben haben (s. hierzu Freud/Breuer, 1970).

Therapeutische Neutralität bis Gefühlskälte nach Freud

Freud war aber auch generell an einem wissenschaftlichen Vorgehen interessiert, mit dem er die ersehnte Anerkennung vielleicht hätte kriegen können. Möglicherweise deshalb hat für die Psychoanalyse die Chirurgen-Metapher bemüht:

„Ich kann den Kollegen nicht dringend genug empfehlen, sich während der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt: Die Operation so kunstgerecht als möglich zu vollziehen. (…) Die Rechtfertigung dieser vom Analytiker zu fordernden Gefühlskälte liegt darin, dass sie für beide Teile die vorteilhaftesten Bedingungen schafft, für den Arzt die Schonung seines eigenen Affektlebens, für den Kranken das größte Ausmaß von Hilfeleistung, das uns heute möglich ist.“ (Freud, 1975, S. 175).

Dennoch hat sich Freud selber gar nicht mit aller Strenge an die Gefühlskälte gehalten. Er hat sich für die Nöte seiner Patienten eingesetzt und sich berühren lassen, auch wenn das immer wieder eigene seelische Belastungen befördert hat. Dennoch hat die Chirurgen-Metapher lange Zeit überdauert bis zu einem anderen Verständnis von Gegenübertragung (s. auch diesen Artikel ) und bis zu veränderten Sichtweisen infolge der Entwicklungen in den humanistischen Psychotherapien, zu denen auch die Körpertherapien gehören. 

Wir wollen uns bewusst einmischen zum Wohle unserer Klienten

Das heißt auch, dass wir unsere eigenen Werthaltungen und Überzeugungen politischer, sozialer, spiritueller Art aus der Psychotherapie weitgehend heraushalten. Das war übrigens auch ein Anliegen von Freud, dem wir heute ohne Weiteres folgen können. Involvement hat nicht zur Folge, dass wir unseren Klienten in allem zustimmen. Manchmal erkennen wir Bedürfnisse oder Gefühle, die unsere Klienten selbst nicht oder nur undeutlich wahrnehmen.

Fallbeispiel aus der Praxis

Dann macht es Sinn, unsere Klienten mit diesen Wahrnehmungen zu konfrontieren.

Ein Klient teilte mir mit, er spüre nichts. Das sei etwas, was seine Frau ihm auch oft vorwerfe. Ich erwiderte: „Ich glaube, dass sie im Moment keine Gefühle spüren. Aber sagen sie mir, welche Empfindungen nehmen sie gerade in ihrem Körper wahr? Wo ist es kalt, wo warm? Wo zieht sich etwas zusammen? Wo spüren sie eine Anspannung, wo eine Entspannung?“

Er konnte mir daraufhin von verschiedenen Sensationen berichten. „Diese Empfindungen sind der Rohstoff für Gefühle. Aus unseren bisherigen Sitzungen weiß ich, dass in ihrer Herkunftsfamilie über Gefühle nicht gesprochen wurde. Wie sollen sie dann gelernt haben, Gefühle zu identifizieren? Das lernen wir durch die Sprache.“ Allmählich lernte dieser Klient, Gefühle zu benennen, indem er seinen Körper lernte, wahrzunehmen und die verschiedenen Empfindungen Emotionsbegriffen zuzuordnen.

Validation der Emotionen an Körperempfindungen

Das obige Beispiel enthält auch schon die nächste Qualität: Validation im Sinne von Überprüfung und Absicherung. Die klare Zuordnung von Empfindungen zu Emotionsbegriffen, wie sie die Sprache bereithält, erlaubt uns, Emotionen zum Teil von Kommunikation und Denken werden zu lassen. Dabei lassen sich die Begriffe an den körpereigenen Empfindungen validieren. Für Menschen, die das schon immer konnten, in deren Familien über Gefühle kommuniziert wurde, ist das keine Schwierigkeit. Es ist allerdings erstaunlich, wie viele Menschen darüber nicht verfügen können.

Begründung von Bedürfnissen und Gefühlen verhindert echtes Fühlen

Ein Mann musste als Kind, wenn er ein Bedürfnis oder ein Gefühl hatte, seinen Eltern gegenüber genau begründen, warum dieses Bedürfnis oder Gefühl in der Situation angemessen war. So hat er zwar gelernt, exzellent zu argumentieren, hat aber seine Bedürfnisse und Gefühle nicht mehr wahrnehmen können, weil diese in der familieninternen Kommunikation keine Rolle spielten. Und was wir nicht nutzen, das verkümmert, wird als unwichtig aussortiert. Dieser Mann musste sehr mühsam lernen, wieder einen Zugang zu seinem Körper zu bekommen.

Es ist noch klarzustellen, dass dieser Mann kein Autist war. Bei vielen Autisten ist der Zugang zu Emotionen erschwert. Diese müssen Gefühle und deren Ausdruck dann wie Vokabeln lernen. Gefühle und Bedürfnisse bleiben so kognitiv und können mit den Empfindungen nicht oder nur sehr schwer verknüpft werden.

Auch die Normalisierung ist in dem ersten Beispiel schon enthalten, als ich ihn darauf hingewiesen habe, dass er in seiner Herkunftsfamilie die Kommunikation von Gefühlen nicht lernen konnte, obwohl er Gefühle und Empfindungen schon immer hatte. (Zur Normalisierung s.a. hier)

Die Beziehungsqualität der Präsenz

Damit kommen wir zur Qualität Präsenz: „Presence is an expression of the psychotherapist’s full internal and external contact. It communicates the psychotherapist’s responsibility, dependability, and reliability. (…) More than just verbal communication, presence is a communion between client and therapist.” (ebd.) (s. hierzu auch meienn  Artikel zur Präsenz)

Wir „schenken Aufmerksamkeit“, sagen wir im Deutschen. Das ist das, was Präsenz meint: „Ich schenke dir meine Aufmerksamkeit und bin mit dieser ganz bei dir.“ Natürlich ist hier nicht gemeint, dass wir uns selbst als Therapeuten und Berater nicht mehr wahrnehmen. Wir schenken unsere Aufmerksamkeit und sind gleichzeitig offen und bereit für unsere eigenen Gefühle, aus denen heraus wir unseren Klienten signalisieren, dass wir bei ihnen sind. „Presence involves both bringing the richness of the therapist’s experiences to the therapeutic relationship as well as decentering from the self of the therapist and centering on the client’s process.” (ebd.)

Mit Hilfe dieser Präsenz ist auch für den Therapeuten oder Berater spürbar, wenn die Präsenz des Therapeuten zu viel wird, wenn die Nähe, die dadurch entsteht, unsere Klienten ängstigt oder überfordert. Dann ist es gut, uns auf das einzuschwingen (attune), was für unsere Klienten jeweils passend und hilfreich ist.

Literatur:

Freud, Sigmund / Breuer, Josef (1970), Studien über Hysterie, Frankfurt/M. (Fischer) 1970 (Erstveröffentlichung 1895)

Freud, Sigmund (1975), Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung, in: Studienausgabe, Ergänzungsband, S. 169 ff., Frankfurt/M. (Fischer) 1975 (ursprünglich 1912)

Weil, Thomas (2010), Endlich frei von Stress, Kassel (MEW) 2010 (zweite Auflage)

Weil, Thomas / Erfurt-Weil, Martina (2010), Selbstwirksamkeit und Performance, Kassel (MEW) 2010

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